Dies ist das Letzte Wort vom Prozess am 25.01.24, bei dem die Hausbesetzung der “Antischocke” verhandelt wurde. Das Letzte Wort konnte im Gericht nicht vorgelesen werden, deswegen veröffentlichen wir es jetzt hier. Den Prozessbericht findet ihr hier.
Kämpferische Grüße gehen raus an das seit dem 9.3. besetzte queerfeministische BERGER KINO FÜR ALLE in Bornheim/Frankfurt a.M.! Lasst euch nicht klein kriegen und genießt das Popcorn.
[ https://de.indymedia.org/node/345511 ]
Wir stehen heute vor Gericht, weil uns vorgeworfen wird, ein Haus besetzt zu haben. Wir stehen hier, weil uns vorgeworfen wird, nicht auf den Staat und seinen bürokratischen Apparat vertraut zu haben. Wir stehen hier, weil uns vorgeworfen wird, dem Versprechen des Neoliberalismus, er würde schon für uns sorgen, nicht geglaubt zu haben.
Wir stehen hier als genderqueere Personen, die sich Räume genommen haben sollen. Räume, die so dringend benötigt werden. Wir brauchen Platz zum Atmen, zum Erholen und zum Klarkommen, weil uns die Welt, die uns umgibt, erdrückt. Als Queers und FLINTA* Personen erleben wir tagtäglich Schikane und Unterdrückung, werden tagtäglich daran erinnert, nicht frei sein zu dürfen.
“FLINTA*” – das ist eine Abkürzung und steht für “Frauen, Lesben, inter*, nicht-binäre, trans* und agender Personen”. “Queer” – das bedeutet, gegen die normativen Vorstellungen von Sexualität und Geschlecht zu leben und im aktiven Widerstand gegen cis-endo-heteronormative Strukturen zu leben und zu lieben.
Uns drei Angeklagten wird vorgeworfen, die Antischocke, das Eckhaus in der Mierendorffstraße in Anger-Crottendorf im März 2022 besetzt zu haben.
Die Antischocke sollte ein Ort sein, an dem wir wieder an unsere Freiheit glauben – uns erst einmal darüber Gedanken machen können, welche Freiheiten wir begehren. Denn wenn wir jeden Tag auf der Straße, in Ämtern, im Job oder sogar im Plenum mit patriarchalem Verhalten, Dynamiken und Gewalt konfrontiert sind, ist es schwierig, sich eine andere Realität überhaupt vorzustellen. Deswegen braucht es Orte wie die Antischocke. Denn da haben wir Platz, können durchatmen und dann gemeinsam davon anfangen zu träumen, wie eine bessere Welt aussieht.
Die Antischocke wäre ein solcher Ort gewesen, an dem sich gegenseitig zugehört und Erfahrungen mit Gefährt*innen geteilt werden sollen, um sich in aller Unterschiedlichkeit widerständig zu organisieren. Hier sollten nicht-binäre, trans*, inter* und agender Personen, Lesben und Frauen kraftvoll und wütend zusammenkommen, um einen Umgang mit der ganzen Scheiße da draußen zu finden und zusammen zurückzuschlagen. Ein Stück Traum, umgeben von Beton, Verfall und Hundescheiße. Losgelöst von Geldsorgen, Vorgaben von Vermieter*innen und behördlichen Auflagen, komischen Blicken und Sprüchen oder der Konfrontation mit Mackern. Die Tür zur Antischocke stand offen, doch gekommen sind die Falschen.
Wir wollten einen selbstbestimmten Schutzraum ohne endo cis Männer und ihre patriarchale Gewalt. Einen Ort von und für FLINTA* Personen, ganz nach dem Motto “Do it yourself” und “Do it together”. Hier sollten alle FLINTA* Personen ihre Ideen einbringen und umsetzen können und sich dabei von niemandem aufhalten lassen.
Ein besonderer Fokus lag auf der Nachbar*innenschaft der Antischocke. Es wurde versucht, sie durch Flyer zu erreichen, anstatt die Besetzung nur innerhalb der linksradikalen/queerfeministischen Szene zu verhandeln. Die Antischocke sollte auch und gerade für FLINTA* Personen aus Anger-Crottendorf ein Rückzugsort sein. Hier hätten Angebote verwirklicht werden können, die ansonsten im Stadtteil fehlen.
In diesem Eckhaus mit den vielen Zimmern hätte es so viel Platz gegeben für Treffen von verschiedensten Gruppen, Selbsthilfewerkstätten, offenen Begegnungsangeboten, Spieleabendende, Sporträumen und so vielem mehr. Es hätte ein Ort mit Räumen sein können, für die keine oder günstige Miete gezahlt werden müsste. Es hätte endlich ein öffentlich zugängliches Klo geben können, auf das alle gehen können, ohne Geld zu bezahlen. Vielleicht hätten Stadtteilprojekte einziehen können, die in den letzten Monaten und Jahren von der Gentrifizierung im Leipziger Osten vernichtet wurden: Projekte wie die e109, das Trautmanns, das radsfatz, das Ery, das ConHanHop oder die Menschen aus Wächterhäusern wie der krudebude.
Das wichtigste vor allem aber wäre gewesen: es hätte bei der Organisierung der Antischocke keinen Chef gegeben, keine innere Gruppe, die einen 5-Jahres-Plan vorgibt. Nein, im Gegenteil. In der Antischocke hätten die Leute aus dem Kiez zusammenkommen können, die Lust und Zeit haben, gemeinsam Ideen zu verwirklichen und Pläne zu schmieden. Aus Gesprächen und Austausch hätte außerdem Verbundenheit, Stärke, Mut und Empowerment erwachsen können.
Stattdessen steht das Haus weiterhin leer. So wie es schon zu oft in Leipzig, u.a. bei der Luwi71, Tiefe3, B34 und dem Bahnhof Stötteritz, aber auch in anderen Städten nach Besetzungen passiert ist. Dass das ganze System hat und es auch feministischen Widerstand trifft, zeigt sich besonders an der Liebig34 in Berlin oder der G19 in Freiburg, welche einem Parkplatz weichen musste. Als besonders reudiges Beispiel ist uns die Geschichte der Militante in Dresden im Gedächtnis geblieben – dort ging die Stadt in Verhandlungen und versuchte ihr Image damit zu schmücken, dass sie dem Anliegen, feministische und konsumfreie Schutzräume zu schaffen, offen gegenüber steht – nur, um die Verhandlungen über Ausgleichshäuser platzen zu lassen, weil sie doch keinen Bock hatte.
Neuerdings findet man die Antischocke übrigens auf ebay Kleinanzeigen: Ein Deal wird angeboten, dass sich Gruppen oder Vereine melden sollen, die auf 9 Jahre befristet mit dem Haus machen können, was sie wollen. Nur muss es so leise stattfinden, dass die Nachbar*innenschaft davon nicht gestört wird. Strom wurde netterweise verlegt, das Loch im Dachstuhl gibt es immer noch. Alles in allem darf man hier eine etwas abgerockte Hütte benutzen und wissen, dass man irgendwann rausgeschmissen wird und selbst verantwortlich dafür ist, Küchen, Boiler und Wärmespender zu installieren. Als wir die ebay-Anzeige gelesen haben, haben wir herzlich gelacht. Toller Deal, richtiger neoliberaler wir-sind-ja-so-linke-Vermieter*innen-und-Menschenfreunde-Style.
Wir finden es ehrlich gesagt ziemlich beschissen, dass die Eigentümerin scheinbar nicht einmal in einer Sekunde daran gedacht hat, sich bei den Besetzer*innen zu melden, denen ein ganz ähnliches Konzept vorschwebte, wie es jetzt auf ebay vorgeschlagen wird. Der Eigentümerin wurden während und nach der Besetzung mehrfach Angebote gemacht, ins Gespräch zu kommen. Obwohl sie u.a. mehrere freundliche Briefe erhalten hat und es eine direkte Kontaktmöglichkeit gegeben hätte, gab sie kein einziges Zeichen, irgendein Interesse zu haben an den Hintergründen der Besetzung des Hauses, welches sie leer stehen ließ.
Wir freuen uns natürlich, wenn die Antischocke nicht weiter vermodert, sondern von einigermaßen emanzipatorischen Menschen genutzt werden kann in nächster Zeit. Es hat aber dennoch einen bitteren Beigeschmack, dass die Vorwürfe des Hausfriedensbruchs unbedingt vor Gericht verhandelt werden sollen, während es doch mehr als offensichtlich ist, dass es erstens zugänglichen Wohnraum, zweitens Schutzräume und drittens selbstbestimmte Freiräume in Leipzig braucht. Und das nicht nur für linke Studierende, Queers oder FLINTA*-Personen, sondern für alle Menschen dieser Stadt!
Leipzig mangelt es an Räumen für so vieles. Und insbesondere für die Bedürfnisse von den Menschen, die eh schon keine Kohle haben, die heute schon ohne Dach dastehen, die kein sicheres soziales Netz um sich herum haben. Für die Bedarfe derer, die von Abschiebungen bedroht sind, die auf offener Straße verprügelt oder angespuckt werden, die zu Hause nicht vor Gewalt sicher sind und für alle, die Rassismus erfahren, oder Queerfeindlichkeit, oder Behindertenfeindlichkeit, oder Sexismus, oder sogar all das gleichzeitig…
Stattdessen wüten Aufwertung und Vermarktung in Leipzig. Einzelpersonen und Unternehmen, die die Kohle haben, werden kaufen, bauen, von der Stadt Aufträge erhalten, alles in dem Glauben, dass Menschen nach Leipzig ziehen werden, die reich genug sind, um ihre z.T. nach Jahren immer noch nicht voll vermieteten Luxusbauten in Connewitz, Reudnitz und Co. zu beziehen.
Wenn es so weiter geht, wird nichts mehr übrig bleiben für uns – die Menschen, die hier in Leipzig leben und wohnen.
Eines von den Dingen, die es hier und überall tatsächlich braucht, sind Räume, in denen wir uns als Queers und/oder FLINTA*-Personen aufhalten können, wo wir Pause haben können vom Patriarchat und kapitalistischen Zwängen und wo wir uns bestärken können. Genau so ein Ort sollte in der Mierendorffstraße entstehen! Wir brauchen die Antischocke und das, wofür sie steht!
Diese Vorstellung davon, was die Antischocke hätte sein können, wurde auch am Tag der Aktion deutlich: Es gab ein vorläufiges Nutzungskonzept, das auf dem ersten Plenum hätte besprochen werden sollen und in das die Bedürfnisse der Nutzer*innen hätten einfließen können. Doch das Plenum konnte nie stattfinden. Denn genau die Personen, die im Haus weder erwünscht noch eingeladen waren, sind gekommen und haben gewaltvoll auf unserer Einladung für FLINTA*-Personen, das Haus zu besuchen, rumgetrampelt. An die sogenannte Eigentümerin, an die Polizei und die Stadt, die sie beauftragt hat: Von Anfang an war die Besetzung gewollt einladend gestaltet. Die Tür stand offen, es war klar, dass die Besetzer*innen bereit sind, mit euch und genauso Interessierten aus der Nachbar*innenschaft zu sprechen. Aber ihr wolltet nicht einmal ein Gesprächsangebot wahrnehmen. Stattdessen wurden Macker-Cops hineingeschickt, wurden wieder einmal feministische Grundwerte missachtet und patriarchale Gewalt ausgeübt. Räumungen – insb. ohne Gespräche von eurer Seite – sind Gewalt. Ihr seid antifeministisch und queerfeindlich! Ihr zeigt uns und der ganzen Stadt damit, dass euch feministische Errungenschaften egal sind und dass ihr lieber auf der Seite des Kapitals, des Privateigentums und des Geldes steht, anstatt bei Menschen, die täglich diskriminierende Erfahrungen machen. Aber wen wunderts!
Natürlich ist die Besetzung als Zeichen von Widerständigkeit nicht erwünscht. Natürlich soll jeder Freiraum zum Leerstand geprügelt werden. Nichts anderes haben wir erwartet von diesem System. Es ist Gewalt in verschiedenen Formen, die genutzt wird, um unser Handeln und Denken zu kontrollieren. Legitimiert durch Mietspiegel, Luxussanierung und angeblicher Absicherung des öffentlichen Raums sollen wir an den Rand gezerrt werden, auf dass man sich nicht mehr mit uns auseinandersetzen muss. Und auf dass wir ersticken an Patriarchat, Klassismus, Rassismus, Queerfeindlichkeit und der ganzen anderen Scheiße.
Ihr habt an diesem Tag versucht, unsere Träume zu zerschlagen. Wir zeigen heute und jeden Tag, dass wir das nicht mit uns machen lassen. Unsere Träume gehören uns! Und wenn wir diese nicht verwirklichen können, werden wir eben zu eurem schlimmsten Albtraum.
Die Antischocke ist ein Symbol des Aufbegehrens gegen diese Zustände.
Wir verabscheuen das Patriarchat, und was es uns allen antut. Wir verabscheuen jene, die sich in seinem Namen über andere stellen. Wir weigern uns, des Geldes oder Ansehens wegen den Weg zu gehen, der uns vorbestimmt wird. Wir prangern bestehende und sich immer weiter verfestigende Ungerechtigkeiten an. Wir brechen aus, aus den Zwängen die uns umgeben. Wir brechen mit jeder Autorität.
Wir werden weiterhin gemeinsam mit unseren Gefährt*innen die Umstände kippen, die dafür verantwortlich sind, dass FLINTA* und Queers unter Gewalt und Unsicherheit leben. Auf dass wir alle eines Tages frei sind!
Kein Knast, kein Staat, kein Patriarchat! Niemand ist frei bis alle frei sind!
P.S.: Was die Antischocke euch noch sagen will:
Und auch wenn die Antischocke uns und dem Kiez zu früh wieder genommen wurde. Die Vorbereitung der Besetzung war ebenfalls ein Prozess, der uns verändert und gemeinsam stärker gemacht hat. Sich FLINTA*-only zu organisieren ist ein wunderbares Erlebnis! Fehlerfreundlichkeit, Sprechen über Gefühle, gemeinsam Wut und Schmerz teilen und ihn umsetzen durch direkte Aktion waren Kennzeichen der Vorbereitung. So gibt es uns Kraft zu wissen, dass auch, wenn die Antischocke in ihrer physischen Form nicht so gut mit denen, die sie brauchen würden, geteilt werden konnte, so konnte doch immerhin etlichen Unterstützer*innen und Begleiter*innen Stärke und Wissen vermittelt werden. Das gibt uns den Mut, weiter zu machen und uns eben nicht von Cops, Staat und Eigentümer*innen in die stille Ecke drängen zu lassen. Die Antischocke mag weg sein. Die politische Schlagkraft dahinter, hat sich jedoch gerade erst formiert und wird sich soft, laut, caring und zornig auf Straße, in Gemeinschaften, Projekten und im Viertel verbreiten. Wir tragen unsere gemachten Erfahrungen weiter – das war nur der Anfang!
Die Antischocke wäre unsere feministische Po-Dusche gewesen, um mit der ganzen Scheiße klar zu kommen!!!